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Borderline aus der Sicht eines Angehörigen! (10 Antworten)

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Borderline.
Sie hat da so ’ne Krankheit. Persönlichkeitsstörung und so, sagt sie. 
Heißt Borderline.
Und ich denk mir: Mann, was für ne Krankheit soll das sein, wenn’s dafür noch nicht mal einen deutschen Namen oder ein anständiges lateinisches Wort gibt.
Sie sagt, das ist halt mal so, das kommt aus dem Englischen und ich denk mir: Toll, auch noch ’ne englische Krankheit, wir haben hier ja noch nicht genug zur Auswahl.
Sie ist ein bisschen verrückt, aber das sagt sie nicht. Sie sagt: Ich bin krank. 
Und ich denk mir: Ja, klar.

Manchmal schneidet sie sich den Arm auf. Oder beide. Mit einer Scherbe oder einer Rasierklinge oder was weiß ich. Danach kommt sie blutend zu mir und weint ein bisschen und jammert, dass es ihr so schlecht geht, und erzählt mir von ihren Eltern und ihrer Kindheit, komisches Zeug, was ich eigentlich gar nicht wissen will, und ich verbinde ihr dann den Arm oder beide oder die Oberschenkel oder fahre sie ins Krankenhaus, wenn sie genäht werden muss. Ich denke dann: Na, so ganz normal ist das aber nicht, wenn man sich die Arme aufschneidet, aber was weiß ich denn schon von englischen Krankheiten.
Und wenn sie dann fertig verbunden ist oder genäht, dann lächelt sie oft und sagt: So, jetzt geht es mir besser, was machen wir jetzt? Und ich denk mir: Mann, warum kannst du nicht immer genau diese Laune haben?

Denn ich weiß nie, welche Laune sie hat, oder welche sie bis eben hatte oder gleich haben wird. Sie ist irgendwie dauerzickig, hat PMS auch nach den Tagen, und dreht sich von jetzt auf gleich um 180 Grad. Sie sagt: Ich kann nix dafür, das liegt daran, dass ich nie gelernt habe, stabil zu sein; und ich denk mir so: Na, ich kenn eine, die ist wirklich instabil, die hat versucht, sich umzubringen, mehrmals, und die versucht es noch heute; und dann denk ich mir: Mann, instabil ist was anderes.

Manchmal ist sie kreativ. Da malt sie dann oder schreibt oder bastelt, ewig lange, mit einer Engelsgeduld, erst einen Tag, dann die Nacht, dann noch einen Tag und noch eine Nacht und ich denk mir: Mensch, musst du nicht irgendwann schlafen? Und dann sitzt sie morgens mit Ringen unter den Augen am Frühstückstisch und schnorrt von meinem Kaffee und sagt: Ja, ich weiß, gleich nächste Woche geh ich wieder in die Uni, aber das hier war wichtig; und ich denk mir so: Gott sei Dank musst du die Miete nicht zahlen.

Es kann sein, dass sie stundenlang vorm Spiegel steht und ihr Spiegelbild anstarrt. Sie kneift in ihre Wangen und schneidet Grimassen und sagt dem Spiegelbild: Mann, ich bin nicht du. Wusstest du das?
Und ich denk mir dabei nicht viel, ich hab’s nicht so mit Philosophie.

Sie sagt: Ich denke in schwarz-weiß, ich kann dich jetzt lieben und morgen hassen und übermorgen trotzdem nicht wollen, dass du mich verlässt; und ich denk mir: Hä? Was ist das wieder für eine Weiberpsychokacke; und sie sagt: Ich versuche, dich nicht emotional zu erpressen, aber vielleicht werd ich das irgendwann. Aber wenn’s dazu kommt, will ich, dass du weißt: Ich kann nichts dafür. Und ich denk mir nur: Boah, Borderline.

Sie übertreibt maßlos. Bei allem. Sie sagt: Ich liege gern im Alkoholrausch in der Ecke, weil ich dann diese Welt wenigstens einen Moment lang vergessen kann. Und dann säuft sie meine Minibar leer. Sie sagt: Irgendwann muss ich sowieso sterben, da ist es doch völlig egal, ob ich mir Aids, Hepatitis oder Genitalherpes einfange. Und ich denk mir so: Zum Glück hatten wir noch keinen Sex und nein – wir werden nie welchen haben.

Sie flucht und schreit und schmeißt Sachen durch die Gegend, wenn sie wütend ist, und sagt: Ich kann nichts dafür, dass mich das so aufregt, in meinem Kopf sind zwei Synapsen falsch verdrahtet und deswegen ärgere ich mich so sehr. Während ich die Scherben einsammle, ich denk mir nur: Mann, Borderline nervt mich.

Sie nimmt alles persönlich. Ob es so gemeint war oder nicht. Sobald etwas nicht so läuft, wie sie es möchte, zieht sie eine Fresse und beschwert sich über die Ungerechtigkeit der Welt und dass ihr alle immer nur Böses wollen und überhaupt, nie ist jemand auf ihrer Seite oder ergreift Partei für sie; und ich seufze lautlos und weiß: Je weniger ich dazu sage, desto schneller hört sie auf.

Sie entschuldigt sich nie. Sie sagt immer: Warum soll ich mich entschuldigen, wenn ich gar nicht anders reagieren oder handeln kann? Warum soll ich mich entschuldigen für das, was ich bin? Bei mir entschuldigt sich ja auch keiner dafür, dass er ist, wer er ist; und dann holt sie weit aus und erzählt und ich denk mir nur: Das hast du mir gestern schon erzählt und vorgestern und den Tag davor auch, langsam sollte man meinen, ich hab’s kapiert. Aber das sag ich ihr nicht. Sonst würde sie nur sagen, dass ich sie nicht ernst nehme. Und um ehrlich zu sein, sie hätte Recht.

Ihre magischen Worte sind: Ich bin krank. Und: Ich kann nichts dafür. Damit entschuldigt sie alles. Alles, und bleibt trotzdem im Leid und Opfer. Und wenn ich dann mal so richtig sauer bin auf sie, dann sitzt sie da so, plinkert ein bisschen mit den getuschten Wimpern, vergießt ein paar Krokodilstränchen und ihr Gesicht sagt ganz eindeutig: Schau, ich bin krank, du darfst nicht schimpfen, mir geht’s eh schon nicht gut und ich kann ja auch gar nichts dafür, du musst mich lieb haben, auch wenn ich dich hasse; und ich denk mir nur: Mann, ich will auch Borderline!

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