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ein Satz brauchte es noch, "Wollen Müssen" (5 Antworten)

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Jahrzehnte lang wusste ich nicht, welche Bedürfnisse ich mir mit meinem Fehlverhalten erfüllen wollte. Süchte usw. habe ich, um meinen Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit zu erfüllen. Es ist der falsche Weg, aber erst, wenn ich mein Ziel kenne, kann ich den richtigen gehen, denn ich kannte wirklich meine eigenen Bedürfnisse nicht.

Das war mir klar, als ich beim GfK-Kurs (gewaltfreie Kommunikation) ein Bedürfnis nennen sollte, und das in eine Bitte umformulieren. Ich habe ein allgemeines gewählt, weil ich wirklich da saß und nicht wusste, was will ich denn?

Dann fiel in der Selbsthilfegruppe der Satz: "Du sollst nicht sagen: Ich muss abnehmen. Du musst sagen: Ich will abnehmen." Ich dachte nur noch: Ich lasse mir nicht sagen, was ich will. Aber genau das tat ich, bis zu diesem Zeitpunkt. Da habe ich mir endlich die wichtige Frage gestellt: "Und will ich abnehmen?" Und als das Nein kam: "Was will ich denn wirklich?" Erst da hatte ich die Richtung gefunden, die mich zu den eigenen Bedürfnissen führt, und nicht immer nur Rücksicht auf andere nehmen. Es ist mein Körper, und es ist mein Leben. Das ich nach eigenen Wünschen gestalten kann. Es kann mir niemand meine Träume nehmen, und es kann mich niemand zu etwas zwingen, was ich selbst nicht will.

Ein Psychologe, den ich mal zwecks Hypnose aufsuchen wollte, sagte zu mir: "Das ist nicht wie im Zirkuszelt. Ich kann Sie nicht dazu bringen, etwas zu tun, was Sie nicht wollen. Sie können auch nichts essen, was Sie nicht mögen. Ich kann Sie nur in die Richtung begleiten, und eine Tür öffnen. Den Weg müssen Sie alleine gehen. Im Hypnosezustand ist man nicht willenlos." Damals war es nur ein Rückschlag für mich - dass wieder eine Möglichkeit weg fiel, frustrierte mich.

Nun, wo ich zumindest das Ziel kenne, muss ich nicht weiter in meinen Süchten verharren, und kann den richtigen Weg einschlagen. Es ist wirklich so - meine Eltern haben an meiner Statt entschieden, welche Schulfächer ich belege, ja sogar, welche Ausbildung ich mache. Später suchte ich mir Autoritäten wie Ärzte und Arbeitgeber, um mir sagen zu lassen, wie ich leben soll, weil ich das nie für mich ausprobieren konnte. Immer habe ich Schönheitsidealen und Gesundheitsreformen nachgejagt, Diäten versucht, Ärzte aufgesucht... und mir diktieren lassen, wie ich zu sein habe, wie ich zu leben habe.

Es ist tatsächlich beängstigend, wie die Gesellschaft und die Medien die Führung der Menschenmasse übernommen haben. Manchmal sehe ich Werbung im Fernsehen und denke: "Für wie blöd halten die ihr Publikum?" Aber auch Sendungen wie "Sauerfruchtbau... Raufer bucht... Dschungelcamp...Big Brother..." usw. verblöden die Menschheit. Dann der Aufruf der Krankenkassen, das Alarmschlagen wie Topfschlagen beim Kindergeburtstag: Die Leute werden immer dicker. Übergewicht ist ungesund.

Okay, mein Aussehen ist nicht genormt, mein Verhalten ist nicht normal, ich tanze aus der Reihe, na die anderen Tanzschritte habe ich auch schon vergessen, aber wenigstens tanze ich noch. Und wenn ich mich nicht anpassen will, dann liegt es daran, dass mein Ziel eben woanders ist. Dann lebe ich auch in einer anderen Gesellschaft. Wer ein Problem hat, das er nicht lösen kann, muss die Lösung woanders suchen. Bei mir war es wichtig, das Problem überhaupt zu erkennen. Es liegt nicht am Übergewicht. Das Gewicht hängt am Problem.

Traurig finde ich nur, dass ich so lange brauchte, um das Offensichtliche zu erkennen. Dass es Sätze brauchte wie: "Nennen Sie das Bedürfnis, das Sie her gebracht hat." Oder: "Du musst wollen." Um zu sehen: Ich muss auch noch wollen, dass mit mir was geschieht... Was immer es ist, ich muss doch erst mal wissen, was ich will! Sich zu fragen, was will ich. Nicht: Was wollen die Anderen von mir.

Dadurch bin ich erst weiter gekommen. Natürlich ist es immer noch ein langer Weg, und auch kein leichter. Wenn man gelernt hat, auf die Bedürfnisse anderer einzugehen, und dass die eigenen Bedürfnisse für die Anderen unwichtig sind, dann verdrängt man, dass sie für einen selbst wichtig sind. Verdrängungsmechanismen treiben in Süchte und andere Zwangserkrankungen. Das Bedürfnis bleibt bestehen, und es bleibt unerfüllt. Es ist schon mal ein wichtiger Schritt, das Grundbedürfnis zu erkennen, damit man ein anderes Verhalten lernen kann.

Verhaltensmechanismen kann man erlernen, Schritt für Schritt das Verhalten ändern. Das kann man aber erst dann, wenn man weiß, warum habe ich das gemacht, und wo will ich wirklich hin.

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