Hallo Ihr Lieben,
vor zwei Jahren habe ich das Forum verlassen. Ein wenig enttäuscht war ich, es hatte ein paar Konflikte gegeben. Ich habe beschlossen, sie hinter mir zu lassen und wieder ab und an hier zu schreiben. Ich hoffe, wir können uns darauf einigen, nichts davon jetzt wieder aufwärmen zu müssen.
Ich bin schon zweimal öffentlich gefragt worden, wie es mir geht, also gibt es jetzt eine Antwort. Vielleicht hilft dem ein oder anderen dieser Erfahrungsbericht ja weiter. Er ist ziemlich lang – Ihr müsst ihn ja nicht unbedingt lesen. Ihr könnt jetzt auch weiterklicken. Winke. ;)
Ich bin 27 Jahre alt, seit 12 Jahren erkrankt, seit knapp 10 Jahren in Therapie. Meine Therapie bestand aus
- zwei tiefenpsychologischen Therapien, stationär und ambulant (haben mir geschadet und mich um Jahre zurückgeworfen)
- zwei ambulanten Verhaltenstherapien, durchaus mit Erfolg in manchen Bereichen
- drei stationären Aufenthalten in der klassischen Psychiatrie, offene Station.
Meine Diagnose lautet bipolar-II mit Ultra Ultra Rapid Cycling, konstant seit ich 15 bin (Rapid Cycling gibt es manchmal nur vorübergehend). Hypomanien kommen bei mir mittlerweile kaum noch vor, ich wechsle fast ausschließlich vom euthymen, symptomfreien Normalzustand in die Depression mit Suizidgedanken und zurück, mehrmals täglich. Obwohl ich fast jeden Tag akute Suizidgedanken habe, habe ich das nur einmal versucht.
Psychose?
Seit etwa 1,5 Jahren kommen eigenartige Symptome hinzu: Wenn ich Gegenstände länger betrachte, beginnen sie, sich zu verformen (sogenannte Metamorphopsien), und Muster fließen (die Straße fließt etwa unter meinen Füßen wie ein Fluss). Ich dachte sofort, das wäre eine Psychose, aber die Psychose-Experten verneinen das. Auf eine Behandlung mit Antipsychotika (Seroquel/Quetiapin, Abilify/Aripiprazol, Haldol/Haloperidol) habe ich denn auch nicht reagiert. Sie nennen die Symptomatik Alice-im-Wunderland-Syndrom – aber woher sie bei mir kommt, ist vollkommen unklar. Die üblichen Gründe scheiden aus (Ich habe noch nie Drogen konsumiert, keine Virus-Erkrankung etc.) Es könnte eine epileptische Komponente geben; mein Fall wäre dann ein Übergangsfall zwischen Neurologie und Psychiatrie – und damit für Forscher hoch spannend.
Ich habe mich schließlich an die Uniklinik gewandt, von der ich meinte, sie könnte mir wohl am besten helfen, wenngleich Hunderte Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Weil mein Fall ziemlich ungewöhnlich ist, hat man dort plötzlich begonnen, sich dafür zu interessieren. Sie haben mich einer Armada von Tests unterzogen, drei Unikliniken aus Deutschland und der Schweiz involviert, unglaublich engagiert. Die richtigen Ärzte zu finden, zahlt sich aus. Ich bin ein bisschen zum Versuchskaninchen geworden, sie stellen meinen Fall schon auf Kongressen vor – aber ich habe im Gegenzug die beste medizinische Versorgung, die ich mir erträumen konnte.
Medikamente wirken nicht
Es gibt noch eine zweite Besonderheit an meinem Fall, neben den ungewöhnlichen Symptomen: Ich habe eine sehr hohe Medikamentenresistenz. Ich habe bisher 21 verschiedene Medikamentenkombinationen genommen, von denen 19 vollkommen wirkungslos waren (und bei einer weiß ich es noch nicht). Mit "vollkommen wirkungslos" meine ich genau das: Keine Wirkung, keine Nebenwirkung, einfach gar nichts (mit zwei Ausnahmen: 1. Haldol, dessen Nebenwirkungen waren heftig und 2. Lorazepam/Tavor, das wirkt durchschlagend). Der Psychose-Experte sagte mal: "Das kann doch nicht sein. Wir werfen dauernd Medikamente in Sie hinein, und es passiert nichts." Auch Hochdosisversuche brachten keinen Erfolg. Ich frage meine Ärzte manchmal scherzhaft, ob sie mir Placebos geben. Nach all diesen Versuchen hätte man mich wohl schon für therapieresistent erklären können, aber bisher hat das Gott sei Dank noch keiner getan.
Besagte Uni-Klinik, in deren Hände ich mich befinde, hat zwei Hochdosisversuche gestartet. Zuerst haben sie Oxcarbazepin auf 3.300 mg aufgedreht (übliche Maximaldosis 2.400 mg). Ich war nebenwirkungsfrei. Das plötzliche Absetzen von einem Tag auf den anderen unter kontrollierten Bedingungen im EEG-Monitoring (im Bett unter einer Video-Kamera) ist gefährlich, es können sogar epileptische Anfälle auftreten. Der Arzt sagte erst zu mir: "Wir setzen Ihr Oxcarbazepin nicht plötzlich ab. Bei der Dosis wäre das, wie Sie von einem Fünf-Meter-Brett in ein leeres Schwimmbecken springen lassen." Der Oberarzt war anderer Meinung: "Absetzen.". Es passierte: nichts. Ärzte und Pflegepersonal konnten es nicht fassen.
Valproat gegen Psychosen?
Jetzt wird es spannender: Man versuchte danach einen Hochdosisversuch mit Valproat, auch in Monotherapie. Ich nehme zurzeit 2.800 mg, also das Doppelte der für mein Körpergewicht vorgesehen Dosis, und mehr als das übliche Maximum von 2.500 mg. Mein Blutspiegel liegt bei > 110 mg/dl, üblich sind 50–100 mg/dl, wenngleich neuere Daten bis zu 120 mg/dl bei schweren Manien vorsehen (die ich aber nicht habe). Einer meiner Ärzte befürchtete Vergiftungserscheinungen, aber die anderen sahen das anders (einer davon glücklicherweise sein Vorgesetzter). Zunächst passierte, wie immer, nichts – aber dann gab es zum ersten Mal in zehn Jahren einen Durchbruch: Meine eigenartigen Verformungssymptome, diese "Psychose", die keine ist, gingen fast auf Null zurück. Wow. Der Prof. hatte das erwartet, weil es in seine Theorie von neuronalen Netzen passt, weil ich ein Spezialfall bin – aber es geht gegen alles, was man üblicherweise über Psychopharmaka annimmt. Psychose-Symptome mit einem Antiepileptikum erfolgreich behandeln? Das geht nicht, da hat der Arzt in der Vorlesung wohl nicht aufgepasst. Irrtum: Geht doch. Zumindest in meinem Spezialfall. Ich war und bin beeindruckt. Und sehr dankbar. Nicht zuletzt für den Mut, der dazugehört, das zu versuchen. Der erste und einzige Therapieerfolg in zehn Jahren. :)
Depressionen
Leider hat sich Valproat auf meine Stimmungsschwankungen nicht ausgewirkt. Wir versuchen daher gerade zusätzlich Lyrica/Pregabalin. Mal sehen, ob etwas passiert.
Ich weiß selbst nicht, warum ich nach so vielen Versuchen noch so zuversichtlich bin und warum ich überhaupt noch an die Pharmakotherapie glaube. Ich bin einfach irgendwie der wissenschaftliche Typ. Es gibt für mich keinen anderen Weg als Medikamente (plus Psychotherapie).
In ein paar Wochen gehe ich wieder stationär, zur intensiven antidepressiven Pharmakotherapie. Experimentellere Verfahren (EKT, tiefe Hirnstimulation und so etwas) liegen auch auf dem Tisch (EKT ist an sich nicht experimentell, aber bei meiner eigenartigen Symptomatik schon).
Mein Fall zeigt drei Dinge, finde ich:
- Es gibt immer wieder Patienten, deren Symptome außerhalb der Standardklassifikation liegen. Ich habe nicht glasklar eine bipolare Störung. Vielleicht passe ich in das neue Krankheitskonzept, das die Uniklinik entwickelt hat (das den Valproat-Erfolg vorhergesagt hat), das aber nur ein brandneuer Entwurf und in der Wissenschaft noch nicht anerkannt ist, nur eine Hypothese ist. Bisher sitze ich aber etwas zwischen Stühlen. Man muss mir mehrere Diagnosen geben, um alles abzudecken (etwa bipolare Störung plus eigenartige Verformungen/Psychose/Epilepsie).
- Es gibt immer wieder Patienten, die auf Medikamente anders reagieren als der Durchschnitt. Das Problem dabei ist, dass die meisten Patienten von sich glauben, sie reagierten besonders. Ich jedenfalls höre das ständig: "Bei mir wirkt dieses Medikament anders." – "Bei mir ist das so und so." – "Ich reagiere auf dieses oder jenes Zeug paradox." Wisst Ihr, ganz ehrlich, ich glaube das in den meisten Fällen nicht. Meistens ist es einfach zu absurd. Da werden Medikamentenwirkungen behauptet, obwohl das Mittel noch viel zur kurz eingesetzt wurde, um überhaupt eine Wirkung zu entfalten. Oder, noch ein Klassiker, Krankheitssymptome und Nebenwirkungen werden verwechselt: "Das Medikament macht mich gefühllos." Kann bei manchen Medikamenten sein, ist bei den meisten bei uns eingesetzten aber eher unwahrscheinlich. Könnte aber genauso gut die Depression sein. Also kurzum: Ich bin da immer etwas skeptisch.
Gleichzeitig demonstriert mir mein eigener Fall, dummerweise, dass es durchaus Patienten gibt, die außerhalb der Norm liegen. Eine Non-Response auf 19 Medikamentenkombis ohne einen Hauch Nebenwirkungen, teilweise unter kontrollierten stationären Bedingungen, alle Versuche therapeutisch sauber (also etwa ausreichende Dauer, meistens viel zu lang, kein "Medikamentenhopping"; ausreichende Blutspiegel nach Medikamentenkompendium und so weiter) – das ist einfach nicht "normal", das liegt außerhalb des statistischen Durchschnitts. Einer meiner Ärzte sagte das mal ganz direkt zu mir: "Sie sind etwas Besonderes." Ich hab mich beschissen gefühlt. Natürlich will jeder Mensch auf der Welt einzigartig sein – aber mir wäre es wirklich lieber, ich würde auf Lithium ansprechen und fertig. Ganz unaufgeregt langweilig. Keine Odyssee. Ich möchte lieber in einem Feld besonders sein, das keine Krankheit ist.
Wie dem auch sei, was ich eigentlich sagen wollte: Manchmal muss man die Maximaldosierungen offenbar überschreiten (und unterschreiten!). Normwerte sind statistische Standardwerte – nicht alle von uns liegen da drin. (Andererseits verdient das Thema "Ich reagiere besonders auf Medikamente. – Ach? Glaube ich nicht!" fast schon einen eigenen Baum.)
- Das dritte hab ich vergessen. Vielleicht wollte ich darauf hinweisen, wie wichtig gute Ärzte sind. Hm. Weiß nicht mehr.
So. Genug gelabert. Ich bin zurück, ja. Wünscht mir bitte Glück für Pregabalin. :)
Viele Grüße
Otacon
PS: Also dass ich mich nicht kurzfassen kann, weiß ich ja … Aber das hier … das ist mein längster Beitrag aller Zeiten, glaub ich. Huch.
vor zwei Jahren habe ich das Forum verlassen. Ein wenig enttäuscht war ich, es hatte ein paar Konflikte gegeben. Ich habe beschlossen, sie hinter mir zu lassen und wieder ab und an hier zu schreiben. Ich hoffe, wir können uns darauf einigen, nichts davon jetzt wieder aufwärmen zu müssen.
Ich bin schon zweimal öffentlich gefragt worden, wie es mir geht, also gibt es jetzt eine Antwort. Vielleicht hilft dem ein oder anderen dieser Erfahrungsbericht ja weiter. Er ist ziemlich lang – Ihr müsst ihn ja nicht unbedingt lesen. Ihr könnt jetzt auch weiterklicken. Winke. ;)
Ich bin 27 Jahre alt, seit 12 Jahren erkrankt, seit knapp 10 Jahren in Therapie. Meine Therapie bestand aus
- zwei tiefenpsychologischen Therapien, stationär und ambulant (haben mir geschadet und mich um Jahre zurückgeworfen)
- zwei ambulanten Verhaltenstherapien, durchaus mit Erfolg in manchen Bereichen
- drei stationären Aufenthalten in der klassischen Psychiatrie, offene Station.
Meine Diagnose lautet bipolar-II mit Ultra Ultra Rapid Cycling, konstant seit ich 15 bin (Rapid Cycling gibt es manchmal nur vorübergehend). Hypomanien kommen bei mir mittlerweile kaum noch vor, ich wechsle fast ausschließlich vom euthymen, symptomfreien Normalzustand in die Depression mit Suizidgedanken und zurück, mehrmals täglich. Obwohl ich fast jeden Tag akute Suizidgedanken habe, habe ich das nur einmal versucht.
Psychose?
Seit etwa 1,5 Jahren kommen eigenartige Symptome hinzu: Wenn ich Gegenstände länger betrachte, beginnen sie, sich zu verformen (sogenannte Metamorphopsien), und Muster fließen (die Straße fließt etwa unter meinen Füßen wie ein Fluss). Ich dachte sofort, das wäre eine Psychose, aber die Psychose-Experten verneinen das. Auf eine Behandlung mit Antipsychotika (Seroquel/Quetiapin, Abilify/Aripiprazol, Haldol/Haloperidol) habe ich denn auch nicht reagiert. Sie nennen die Symptomatik Alice-im-Wunderland-Syndrom – aber woher sie bei mir kommt, ist vollkommen unklar. Die üblichen Gründe scheiden aus (Ich habe noch nie Drogen konsumiert, keine Virus-Erkrankung etc.) Es könnte eine epileptische Komponente geben; mein Fall wäre dann ein Übergangsfall zwischen Neurologie und Psychiatrie – und damit für Forscher hoch spannend.
Ich habe mich schließlich an die Uniklinik gewandt, von der ich meinte, sie könnte mir wohl am besten helfen, wenngleich Hunderte Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Weil mein Fall ziemlich ungewöhnlich ist, hat man dort plötzlich begonnen, sich dafür zu interessieren. Sie haben mich einer Armada von Tests unterzogen, drei Unikliniken aus Deutschland und der Schweiz involviert, unglaublich engagiert. Die richtigen Ärzte zu finden, zahlt sich aus. Ich bin ein bisschen zum Versuchskaninchen geworden, sie stellen meinen Fall schon auf Kongressen vor – aber ich habe im Gegenzug die beste medizinische Versorgung, die ich mir erträumen konnte.
Medikamente wirken nicht
Es gibt noch eine zweite Besonderheit an meinem Fall, neben den ungewöhnlichen Symptomen: Ich habe eine sehr hohe Medikamentenresistenz. Ich habe bisher 21 verschiedene Medikamentenkombinationen genommen, von denen 19 vollkommen wirkungslos waren (und bei einer weiß ich es noch nicht). Mit "vollkommen wirkungslos" meine ich genau das: Keine Wirkung, keine Nebenwirkung, einfach gar nichts (mit zwei Ausnahmen: 1. Haldol, dessen Nebenwirkungen waren heftig und 2. Lorazepam/Tavor, das wirkt durchschlagend). Der Psychose-Experte sagte mal: "Das kann doch nicht sein. Wir werfen dauernd Medikamente in Sie hinein, und es passiert nichts." Auch Hochdosisversuche brachten keinen Erfolg. Ich frage meine Ärzte manchmal scherzhaft, ob sie mir Placebos geben. Nach all diesen Versuchen hätte man mich wohl schon für therapieresistent erklären können, aber bisher hat das Gott sei Dank noch keiner getan.
Besagte Uni-Klinik, in deren Hände ich mich befinde, hat zwei Hochdosisversuche gestartet. Zuerst haben sie Oxcarbazepin auf 3.300 mg aufgedreht (übliche Maximaldosis 2.400 mg). Ich war nebenwirkungsfrei. Das plötzliche Absetzen von einem Tag auf den anderen unter kontrollierten Bedingungen im EEG-Monitoring (im Bett unter einer Video-Kamera) ist gefährlich, es können sogar epileptische Anfälle auftreten. Der Arzt sagte erst zu mir: "Wir setzen Ihr Oxcarbazepin nicht plötzlich ab. Bei der Dosis wäre das, wie Sie von einem Fünf-Meter-Brett in ein leeres Schwimmbecken springen lassen." Der Oberarzt war anderer Meinung: "Absetzen.". Es passierte: nichts. Ärzte und Pflegepersonal konnten es nicht fassen.
Valproat gegen Psychosen?
Jetzt wird es spannender: Man versuchte danach einen Hochdosisversuch mit Valproat, auch in Monotherapie. Ich nehme zurzeit 2.800 mg, also das Doppelte der für mein Körpergewicht vorgesehen Dosis, und mehr als das übliche Maximum von 2.500 mg. Mein Blutspiegel liegt bei > 110 mg/dl, üblich sind 50–100 mg/dl, wenngleich neuere Daten bis zu 120 mg/dl bei schweren Manien vorsehen (die ich aber nicht habe). Einer meiner Ärzte befürchtete Vergiftungserscheinungen, aber die anderen sahen das anders (einer davon glücklicherweise sein Vorgesetzter). Zunächst passierte, wie immer, nichts – aber dann gab es zum ersten Mal in zehn Jahren einen Durchbruch: Meine eigenartigen Verformungssymptome, diese "Psychose", die keine ist, gingen fast auf Null zurück. Wow. Der Prof. hatte das erwartet, weil es in seine Theorie von neuronalen Netzen passt, weil ich ein Spezialfall bin – aber es geht gegen alles, was man üblicherweise über Psychopharmaka annimmt. Psychose-Symptome mit einem Antiepileptikum erfolgreich behandeln? Das geht nicht, da hat der Arzt in der Vorlesung wohl nicht aufgepasst. Irrtum: Geht doch. Zumindest in meinem Spezialfall. Ich war und bin beeindruckt. Und sehr dankbar. Nicht zuletzt für den Mut, der dazugehört, das zu versuchen. Der erste und einzige Therapieerfolg in zehn Jahren. :)
Depressionen
Leider hat sich Valproat auf meine Stimmungsschwankungen nicht ausgewirkt. Wir versuchen daher gerade zusätzlich Lyrica/Pregabalin. Mal sehen, ob etwas passiert.
Ich weiß selbst nicht, warum ich nach so vielen Versuchen noch so zuversichtlich bin und warum ich überhaupt noch an die Pharmakotherapie glaube. Ich bin einfach irgendwie der wissenschaftliche Typ. Es gibt für mich keinen anderen Weg als Medikamente (plus Psychotherapie).
In ein paar Wochen gehe ich wieder stationär, zur intensiven antidepressiven Pharmakotherapie. Experimentellere Verfahren (EKT, tiefe Hirnstimulation und so etwas) liegen auch auf dem Tisch (EKT ist an sich nicht experimentell, aber bei meiner eigenartigen Symptomatik schon).
Mein Fall zeigt drei Dinge, finde ich:
- Es gibt immer wieder Patienten, deren Symptome außerhalb der Standardklassifikation liegen. Ich habe nicht glasklar eine bipolare Störung. Vielleicht passe ich in das neue Krankheitskonzept, das die Uniklinik entwickelt hat (das den Valproat-Erfolg vorhergesagt hat), das aber nur ein brandneuer Entwurf und in der Wissenschaft noch nicht anerkannt ist, nur eine Hypothese ist. Bisher sitze ich aber etwas zwischen Stühlen. Man muss mir mehrere Diagnosen geben, um alles abzudecken (etwa bipolare Störung plus eigenartige Verformungen/Psychose/Epilepsie).
- Es gibt immer wieder Patienten, die auf Medikamente anders reagieren als der Durchschnitt. Das Problem dabei ist, dass die meisten Patienten von sich glauben, sie reagierten besonders. Ich jedenfalls höre das ständig: "Bei mir wirkt dieses Medikament anders." – "Bei mir ist das so und so." – "Ich reagiere auf dieses oder jenes Zeug paradox." Wisst Ihr, ganz ehrlich, ich glaube das in den meisten Fällen nicht. Meistens ist es einfach zu absurd. Da werden Medikamentenwirkungen behauptet, obwohl das Mittel noch viel zur kurz eingesetzt wurde, um überhaupt eine Wirkung zu entfalten. Oder, noch ein Klassiker, Krankheitssymptome und Nebenwirkungen werden verwechselt: "Das Medikament macht mich gefühllos." Kann bei manchen Medikamenten sein, ist bei den meisten bei uns eingesetzten aber eher unwahrscheinlich. Könnte aber genauso gut die Depression sein. Also kurzum: Ich bin da immer etwas skeptisch.
Gleichzeitig demonstriert mir mein eigener Fall, dummerweise, dass es durchaus Patienten gibt, die außerhalb der Norm liegen. Eine Non-Response auf 19 Medikamentenkombis ohne einen Hauch Nebenwirkungen, teilweise unter kontrollierten stationären Bedingungen, alle Versuche therapeutisch sauber (also etwa ausreichende Dauer, meistens viel zu lang, kein "Medikamentenhopping"; ausreichende Blutspiegel nach Medikamentenkompendium und so weiter) – das ist einfach nicht "normal", das liegt außerhalb des statistischen Durchschnitts. Einer meiner Ärzte sagte das mal ganz direkt zu mir: "Sie sind etwas Besonderes." Ich hab mich beschissen gefühlt. Natürlich will jeder Mensch auf der Welt einzigartig sein – aber mir wäre es wirklich lieber, ich würde auf Lithium ansprechen und fertig. Ganz unaufgeregt langweilig. Keine Odyssee. Ich möchte lieber in einem Feld besonders sein, das keine Krankheit ist.
Wie dem auch sei, was ich eigentlich sagen wollte: Manchmal muss man die Maximaldosierungen offenbar überschreiten (und unterschreiten!). Normwerte sind statistische Standardwerte – nicht alle von uns liegen da drin. (Andererseits verdient das Thema "Ich reagiere besonders auf Medikamente. – Ach? Glaube ich nicht!" fast schon einen eigenen Baum.)
- Das dritte hab ich vergessen. Vielleicht wollte ich darauf hinweisen, wie wichtig gute Ärzte sind. Hm. Weiß nicht mehr.
So. Genug gelabert. Ich bin zurück, ja. Wünscht mir bitte Glück für Pregabalin. :)
Viele Grüße
Otacon
PS: Also dass ich mich nicht kurzfassen kann, weiß ich ja … Aber das hier … das ist mein längster Beitrag aller Zeiten, glaub ich. Huch.